Peter Homberg

Endstation Völkerrecht?

Über die Missinterpretation von Artikel 2 Absatz 9 des UN-Einheitsübereinkommens über Betäubungsmittel von 1961

Eine Legalisierung des Konsums von Cannabis zu Freizeitzwecken, wie im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung angekündigt, galt bis dato völker- wie europarechtlich als höchst bedenklich. So hat sich Deutschland in mehreren UN-Konventionen dazu verpflichtet, den Anbau, Handel, Verkauf und Besitz von Cannabis etc. für andere als medizinische oder wissenschaftliche Zwecke zu verbieten. Das Europarecht verweist wiederum auf besagte völker- rechtliche Verträge. Zuletzt zirkulierte jedoch vermehrt, dass es nun doch eine Auslegungsmöglichkeit des UN-Einheitsübereinkommens von 1961 gäbe, die die Legalisierung von Freizeitcannabis recht- fertige. Sollte sich dies bewahrheiten, würde das einen fundamentalen Wendepunkt in der rechtlichen Auseinandersetzung mit der Legalisierung von Freizeitcannabis darstellen.


von Peter Homberg, Dentons Europe LLP, Berlin und Chairman of the Board, European Cannabis Association


Neue Perspektiven

Ein Sprecher der DRCNet Foundation Inc. hat im März 2022 in der Plenarsitzung der UN-Suchtstoffkommission vorgetragen, die Konvention sei über Jahrzehnte missinterpretiert und falsch angewendet worden. Sie stehe der Legalisierung des Konsums von Cannabis zu Freizeitzwecken nicht entgegen. Stattdessen ermögliche sie den Mitgliedstaaten, Cannabis für andere als medizinische oder wissenschaftliche Zwecke zu legalisieren. Dabei bezieht er sich auf Artikel 4 lit. c des UN-Einheitsübereinkommens, der besagt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Aktivitäten in Bezug auf Suchtstoffe einzuschränken, nicht absolut, sondern vorbehaltlich des restlichen Inhalts des UN-Übereinkommens von 1961 besteht. Artikel 2 Absatz 9 besagt: „Die Vertragsparteien sind nicht verpflichtet, dieses Übereinkommen auf Suchtstoffe anzuwenden, die in der gewerblichen Wirtschaft üblicherweise für andere als medizinische oder wissenschaftliche Zwecke verwendet werden, sofern sie durch geeignete Vergällungsverfahren oder auf andere Weise sicherstellen, dass die so verwendeten Suchtstoffe weder missbraucht werden, noch schädliche Wirkungen hervorrufen können (Art. 3 Abs. 3) und dass die schädlichen Stoffe in der Praxis nicht zurückgewonnen werden können (…).“ Aus diesem Wortlaut folgert er, dass eine Freizeitcannabislegalisierung völkerrechtlich kompatibel sei, wenn auf „andere Weise“ sichergestellt sei, dass die Suchtstoffe nicht missbraucht werden oder gesundheitsschädliche Wirkungen hervorrufen können – etwa durch einen staatlich regulierten Anbau und Vertrieb nach geltenden Qualitätsstandards. Die- se Interpretation findet sich mittlerweile auch vermehrt in Industriekreisen – so hat unter anderem eine US-amerikanische Suchtbekämpfungsplattform einen Bericht dazu mit der gleichen Schlussfolgerung veröffentlicht.

Die rechtliche Substanz

Die Argumentation erscheint zunächst schlüssig. Bei einer genaueren Auslegung der Norm wird jedoch deutlich, dass eine internationale Fehlinterpretation des UN-Einheitsübereinkommens über mehr als 60 Jahre hinweg auszuschließen ist. Sinn und Zweck des Artikels 2 Absatz 9 ist es, eine Anwendung der Suchtstoffe in der gewerblichen Wirtschaft zu ermöglichen, nachdem sie ihres Suchtpotentials entledigt wurden. Das Regelbeispiel der Vergällung sowie die Anforderung, dass diese schädlichen Stoffe in der Praxis nicht zurückgewonnen werden können, verdeutlichen dies. Auch wird diese Auslegung von der offiziellen Kommentierung der Konvention bestätigt. Die Mitgliedstaaten müssen demnach sicherstellen, dass die Rückgewinnung der Suchtstoffe, die in der gewerblichen Produktion aufgebraucht werden, sowie jener, die als Begleitstoffe umgewandelt werden, unmöglich wird. Es geht also nicht nur um die Risikoreduzierung durch staatlich kontrollierten Anbau und Abgabe. Vielmehr erfasst die Norm einen Fall, in dem Betäubungsmittel ihre Eigenschaft verlieren und in einem anderen Kontext verwendet werden.
Eine Legalisierung von Cannabis für den „Recreational Use“ bleibt zum jetzigen Zeitpunkt völker- und europarechtswidrig. Eine entgegengesetzte Auslegung des Artikel 2 Absatz 9 des Einheitsübereinkommens ist schlichtweg rechtlich unzutreffend. Ob die Mitgliedstaaten trotz des eindeutigen Wortlauts der völkerrechtlichen Überübereinkommen „Freizeitcannabis“ legalisieren – wie jüngst etwa Kanada und Uruguay – und somit eine offene Verletzung dieser in Kauf nehmen, ist wiederum eine andere Frage.


Published: |transkript 2.2022